Veranstaltungsdaten
Die Große Reihe (4) – Mythos 9
Einführung um 19 Uhr
Rodion Schtschedrin
Altrussische Zirkusmusik – Konzert für Orchester Nr. 3
Sergej Rachmaninoff
Klavierkonzert Nr. 1 fis-Moll op. 1
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
- Klavier: Bernd Glemser
- Dirigent: Nicholas Milton
Ein heißes Eisen, zum zweiten: Schostakowitsch.
Dmitri Schostakowitsch schrieb fünfzehn Sinfonien, aber dem „Mythos Neun“ konnte er dennoch nicht aus dem Wege gehen. Wie so oft, übte die politische Lage in der Sowjetunion dominierenden Einfluss auf sein Leben und Werk aus, und in diesem Fall entstand durch den historischen Einschnitt des Kriegsendes 1945 zusätzlicher Druck. Der sowjetische Diktator Stalin erwartete von Schostakowitsch, den er 1936 beinahe um Karriere und Verstand gebracht hatte, eine Jubelsinfonie zur Feier des Siegs über Deutschland. Und dass es sich hier ausgerechnet um eine „Neunte“ handeln würde, dürfte dem Gewaltherrscher durchaus willkommen gewesen sein. Schostakowitsch ging zum Schein darauf ein, kündigte eine Sinfonie „mit Loblied“, also Chorbeteiligung im Sinne Beethovens an, und bewies großen Mut, indem er genau das Gegenteil vorlegte: Ein Werk in beinahe klassischer sinfonischer Gestalt, ohne Chor, ohne heroischen Impetus. Ein fast kindlicher Ausdruck, wenn überhaupt, von Siegesfreude; leicht, heiter, in bewusster – und rein musikalischer – Schlichtheit.
Stalin muss geschäumt haben angesichts dieser Subordination, zumal er die anvisierte Siegessinfonie auch gegenüber den ehemaligen Verbündeten im Westen als Beweis sowjetischer Stärke hatte instrumentalisieren wollen. Schostakowitsch hatte in den Folgejahren mit einer erneuten Kaltstellung zurechtzukommen, die ihn bis zum Tode Stalins 1953 aus dem sowjetischen Musikleben praktisch entfernte. Und der „Mythos Neun“, dem er wohl hatte ausweichen wollen, lastete weiter auf ihm. Im März starb Stalin, und erst im Sommer, acht Jahre nach der Neunten, fand Schostakowitsch die schöpferische Kraft zur Komposition seiner zehnten Sinfonie. Schostakowitschs Umgang mit dem „Mythos Neun“ verweigerte den Weg zu einem politisch kontaminierten Gipfel der Sinfonik – und erreichte gerade deswegen einen wahren Gipfel der musikalischen Kunst.