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Die Große Reihe // Rückschau Saison Spielzeiten-Archiv

In den neun Konzerten der Großen Reihe betreten wir, um mit dem amerikanischen Dichter Edgar Allan Poe zu sprechen, „eine Region der Novitäten & Wunder“. Die Rede ist von rätselhaften Erscheinungen, die wir nur wie durch einen Vorhang hindurch betrachten können. Hector Berlioz etwa entführt uns in das innere Afrika eines vom Wahn befallenen Künstlers. Der Chinese Qigang Chen geleitet uns zum Abstieg in die verschlungenen Abgründe weiblicher Seelen. Mit Beethoven blicken wir schaudernd auf das verhüllte Standbild der Göttin Isis. Und Wagner führt uns an das Guckloch, wo wir in einen wahren Zaubergarten schauen können.

Edgar Allan Poe selbst war ein Meister in der Kunst, durch rätselhafte Szenen eine unglaubliche Spannung aufzubauen. Beispielhaft ist die folgende Geschichte:

Drei Mann in einem Boot – aber nicht auf dem Rhein, sondern im antarktischen Ozean. Eine unerklärbare Strömung treibt sie immer weiter nach Süden. Plötzlich verwandelt sich das Meer: Das Wasser erhitzt sich zunehmend, wird milchig weiß und kocht, und in nächtiger Düsternis steigen Schauder erregende Glimmlichter aus der Meerestiefe empor. Dann geht es auf eine Stromschnelle zu, über der sich ein Vorhang aus lichtgrauem Gedämpf erhebt. Während das Boot in einen klaffenden Abgrund hinabstürzt, sehen die Männer hinter dem Schleier der Dampfwand etwas hindurch schimmern: „eine verhüllte menschliche Gestalt, sehr viel größer an Glied=Maßen, als sonst ein unter Menschen je Hausendes. Und die Tönung der Haut der Gestalt, war von der völligen Weißnis des Schnees“.

Mit diesen Sätzen bricht Poes Roman „Arthur Gordon Pym“ (1838) abrupt ab. Was es mit dem seltsamen „weißen Riesen“ auf sich hat, bleibt offen. Die Phantasie des Lesers arbeitet umso heftiger. Das Undurchsichtige zieht uns in seinen Bann. Wie die großen Erzähler gehören auch hochkarätige Komponisten zu der Sorte von Zauberkünstlern, die uns mit Rätseln zu umgarnen wissen. Der Dichter Ludwig Tieck schreibt 1799 in einem Aufsatz über „Symphonien“, diese – er meint die ganze Gattung – „können ein so buntes […] Drama darstellen, wie es uns der Dichter nimmermehr geben kann; denn sie enthüllen in rätselhafter Sprache das Rätselhafteste […].“

Entdecken Sie all die Reize, die sich auftun, wenn nicht alles offenliegt, sondern aus dem Verhältnis zwischen Verhüllung und Transparenz etwas entsteht, das wie ein Sog auf uns wirkt. Nichts treibt unsere Wissbegier und unsere Phantasie so sehr an, wie Dinge, deren Umrisse wir nur erahnen…

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https://www.stuttgarter-philharmoniker.de/1680 | Ausdruck vom: 23.11.2024 12:46

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